BRITTA JONAS
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RINGELREIHEN von Jan Apitz

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Ringelreihen

Zu den Arbeiten von Britta Jonas

 

Kein Anfang, kein Ende: ein Kreislauf.
Ein Hase, eine Frau, ein Jäger; ein Zittern, ein Tun-als-ob–nichts-wär, ein Anschlag, ein tödliches Erschrecken. Da ist die Geschichte des Hasen, der sich vor Angst entleert. Da ist die Geschichte der Frau, die ahnungslos den Rest zu Pulver mahlt und hinterrücks die heiße Tasse brüht. Wir wissen vom Rauch, der mehr als Dampf ist, dem der Jäger ohne Kopf mit Schießgewehr entsteigt, der alsbald das Hasentier bedrohen wird, das angstvoll kauert, sein Ende vor Augen. Dann wieder die Kötteln, der Sud, der Jägergeist mit Schießgewehr, die weiten, weiten Hasenaugen. Die Welt als Endlosschleife, als altbekannt vertrautes Lied.
So simpel, so leicht eingeprägt. Ein wahrlich hübsches Muster, gut brauchbar unseren Alltag auszuschmücken, der Sekunde an Sekunde in einer langen Kette reiht, bis wir merken, dass wir uns drehen, dass die selben Muster immer wieder auftauchen, dass wir gefangen sind im Ringelreihen.

So die Großen wie die Kleinen.

Wie treiben wir die Geister aus, die uns immer wieder heimsuchen? Ein Wispern, ein Raunen geht durch den Wald. Wir halten uns die Ohren zu, das Raunen wird zum Bellen, wir laufen los, doch voran kommen wir nicht, der Traum lässt uns auf der Stelle treten. Unsere Beine sind bloße Stümpfe, die Hunde schneller.
Sie werden uns fassen.

Lauf Jäger, lauf, Jäger, lauf, lauf, lauf...

Als wir aufwachen, verscheuchen wir die Traumhunde mit einer leichten Handbewegung, fädeln sie fein säuberlich an der roten Leine unserer Überlegenheit auf, damit sie gut abhängen und bekömmlich werden.
Die Gefahr ist gebannt. Bis zur nächsten Jagd, in der nächsten Nacht.
Und immer so weiter. Nach dem selben Muster.

 

Wenn man annimmt das Spiel zu beginnen, ist es schon längst am Laufen.
Eine neue Hand wird gefasst, kein Loslassen mehr möglich um aus der Reihe zu tanzen, bis dass der Tod uns scheidet. Ein stetes Kommen und stetes Gehen. Etwas Wärme bestenfalls verbleibt nach dem Ende eines jeden Einsatzes, der leichte Druck des ‚Hier-nimm-das-ist-meine-Erinnerung’. Aus vielen Spuren wird Gemeinschaft, der sich keiner entzieht, noch entziehen kann. Ich bin ein Teil von allem, dem ich begegnet bin. Das ist die reine Wahrheit und nichts als die Wahrheit, seufzen wir mit gekreuzten Fingern und schieben diese Erkenntnis weg, weil unser Teil ein anderer sein will. Doch das Bild von uns verschwimmt. Wie sollen wir das eine, richtige fassen, wenn es zu viele davon gibt. Das ureigenste Verhalten entpuppt sich als Abziehbild uralter Traditionen. Es ist tausend und abertausendmal gesagt: ‚Gib mir die Hand, wir wollen tanzen, gib mir die Hand, ich will dich küssen.’ So spricht das Weiß. Das Rot fügt hinzu: ‚Denn sei gewiss, unsere Liebe ist leicht entzündbar. Und die Stühle, auf denen wir sitzen, vermögen uns kaum zu halten.’ Wir balancieren auf Spinnennetzen, wie Schatten. Wie die Großen... Das Schwarz aber sagt: ‚Bevor der freie Fall kommt, reißt du mir das Herz heraus, das für dich brennen wollte.’

Für immer.

Die Säge frisst sich ins Holz, die Schablone wird geformt. Eine Stück Welt, zunächst als Schemen gefühlt und gedacht, baut sich leibhaftig vor uns auf, dann grinst es schutzbehauptend, ob seiner Dünnwandigkeit. Mit Verlaub, hier ist alles Attrappe, ein Spiel, pures Theater. Figurinen haben ihren Auftritt, beginnen Verhältnisse aufzubauen, von denen keines unbelastet ist. Die Erinnerung ist eingeprägt und offenbart sich dem gewissenhaften Auge. Das, was einstmals wichtig war, wird Beiwerk als lastender Schmuck einer neuen Erfahrung. Ein Teil fügt sich zum andern und will in dieser Kette doch nicht richtig passen.
Die Stücke reiben aneinander, bis ihnen heiß wird. Widerspenstigkeit aber muss bestraft werden. Der große Nikolaus wird angerufen und taucht die frechen Elemente in die schwarze, schwarze Tinte, auf dass sie aussehen wie Mohren und lange, lange Nasen bekommen. Da lacht er sie lauthals aus: ‚Euer Hochmut soll gebrochen sein.’ Und: ‚Mit Bildern spielt man nicht.’ Jetzt müssen die Kleinen lachen und drehen ihm die Nase. Ihr Reigen lässt sich davon nicht erschrecken,  kreist weiter um sich selbst, als wäre nichts gewesen. Bis das Feuer kommt und das Holz frisst. Aber auch das ist nur ein Trugbild und wahrlich keine Lösung von Dauer.

Du weißt es.

Wenn die Kulissen fallen, bleibt Leere. Der Rauch löst sich und gibt den Blick frei auf das weite Land, dem seine Akteure abhanden gekommen sind. Die Bühne, nun ein bloßer Bretterboden, wartet auf das nächste Spiel. Wohin haben sich die Schatten verzogen? Welche Geschichten wurden vorerst nicht erzählt? Die Säge
harrt auf neuen Einsatz, Kleider hängen zitternd im Schrank, hoffen auf ihre Träger, wollen sich drehen im Kreis, bis die Schuhe zertanzt sind.
Doch keine Angst, du kannst gewiss sein: bald wehen Töne heran. Auch wenn du dir die Ohren zuhältst, du hast keine Wahl. Ihr Flüstern wird lauter und lauter werden: ‚Gib mir die Hand, wir wollen tanzen, gib mir die Hand, wir wollen uns lieben’ und so weiter und so fort, immer weiter, harmlos erst, dann schmerzend, ohne Anfang, ohne Ende. Es ist eine Hatz. Immer im Kreis, immer im Ringelreihen.

 

Jan Apitz

 

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